Lange Zeit war ich nicht so sehr angetan von Webinaren. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie man CAD Seminare, die ja mehr Übung und weniger Vortrag erfordert, online abhalten soll.
Nach nunmehr über 2 Jahren fast ausschliesslichem online Unterricht möchte ich meine Erfahrung teilen. Es stellte sich zu meiner Überraschung sehr schnell heraus, dass online Unterricht nicht nur eine Notlösung, sondern effizienter und effektiver als vor Ort Seminare ist.
Reisen
Die Vorteile des Verzichts auf Reisen liegen auf der Hand.
- Umweltfreundlich
- Kostensparend
- Zeitsparend
- Flexiblere Planung, da weder Hotel noch Zug gebucht werden müssen
- Auch spontane Unterstützung ist möglich.
- Sicher planbar von Wettereignissen und Verkehrsbedingungen unabhängig
Wenn ich zu einem Termin anreise, ist ein kompletter Seminartag immer die kleinste sinnvolle Einheit. Online können jedoch auch kleinere Einheiten gebucht werden. Auch spontane und kurzfristige Unterstützung in einem aktuellen Projekt ist möglich. Manche nutzen dies für weitere Fragen, die sich im Laufe der praktischen Anwendung nach einem Grundlagen Seminar bieten, manche sind bereits routiniert in der Anwendung und benötigen nur zu einem bestimmten Thema Unterstützung.
Hin und wieder kommt es vor, dass neue Mitarbeiter oder Mitarbeiterinnen einen Grundlagenkurs erhalten und sich im Anschluss durch interne Kommunikation auch für die bereits langjährigen Anwender neue Perspektiven ergeben. Diese wünschen sich dann einen kurzen Einblick. Online Seminare können dann auch nur eine Stunde sein und kurzfristig stattfinden.
Ein Vor-Ort-Seminar musste einmal mit einem Teilnehmer weniger auskommen, weil er zuhause eingeschneit war und nicht zur Arbeit erscheinen konnte. Zur letzten Veranstaltung bin ich zum Glück gut angekommen, weil ich einige Stunden früher los bin. Der Termin war lange geplant, aber am Morgen des Abreisetags wurde Sturmwarnung ausgegeben mit einer Warnung vor einem Orkantief, das am Abend genau durch die zu fahrende Strecke ziehen sollte. Zugausfälle, Strassensperrungen, Umleitungen und Stau bergen immer ein Risiko auf Reisen. Ja auch Internetverbindungen fallen mal aus (was mir bisher noch nicht passiert ist), aber Termine können dann sehr kurzfristig und unkompliziert nachgeholt werden. Für den Fall der Fälle gibt es auch noch den mobilen Hotspot via dem eigenen Smartphone. Eine Verbindung, die für online Seminare ausreicht und spontan und schnell aufgebaut werden kann.
Didaktik im Webinar
Relativ schnell haben sich auch für Gruppen didaktische Vorteile des online Unterrichts heraus gestellt.
Räumliche Trennung
Die räumliche Trennung gilt gerne als Nachteil der online Seminare. Für mich hat sich diese aber als sehr positiv heraus gestellt.
Jeder Teilnehmer und jede Teilnehmerin kann seine bzw ihre Räumlichkeiten frei wählen. Dh einen ruhigen Raum aufsuchen, in dem er oder sie ungestört ist. Online Seminare müssen nicht in der Firma stattfinden, sondern können auch zb mit einer Testversion der zu schulenden Anwendung auf dem privaten Heimrechner stattfinden. Die Stimmung ist allgemein entspannter, auch die Kleidung. Nur einmal fühlte ich mich in einer Runde mit 9 Herren in leuchtenden Warnwesten etwas underdressed.
So sitzen meine Gegenüber manchmal in der Küche und kochen nebenher Kaffee, manche Rauchen oder vespern etwas. Ein Teilnehmer sass mal in einer Art Einbauschrank in der Firma zwischen Bauhelmen und Werkzeugen. Auch die Pausen können wir flexibel gestalten, wenn die Haustiere quängeln und Gassi möchten, Kunden und Lieferanten anrufen oder sich schnell um etwas gekümmert werden muss. Ich bin in meiner Zeiteinteilung recht flexibel und habe immer auch etwas anderes zu tun. Wenn wir also am Ende eine halbe Stunde anhängen, weil wir etwas mehr Pause gemacht haben, stört mich das nicht.
Interaktion
Im online Unterricht ist mehr Interaktion in der Gruppe möglich, da alle Teilnehmer ihren Bildschirm teilen können. Wenn ich vor Ort bin und jemand Unterstützung anfordert, dann gehe ich normalerweise zu seinem Arbeitsplatz und der Rest der Gruppe ist in diesem Moment aussen vor. Online arbeitet die Gruppe enger zusammen und ich gebe absichtlich immer auch Zeit und Raum für gruppendynamische Prozesse, indem ich mich auch mal bewusst raus nehme, wenn diese spontan entstehen. Am Ende muss die Gruppe ja auch ohne mich den Arbeitsalltag bewältigen und je früher sie damit anfangen, desto besser. In diesen Gesprächen untereinander kristallisieren sich Stärken und Schwächen der Einzelnen heraus und Aufgaben und Verantwortung können entsprechend aufgeteilt werden. Ich helfe hier mit meiner Erfahrung und Einschätzung, welche Aufteilung sinnvoll ist.
Workshop
Schon immer waren meine Seminare mehr Workshop als Vortrag. Gerade hier hatte ich Schwierigkeiten, mir vorzustellen, dass dies online genauso möglich sein sollte. Ich hielt online Veranstaltung eher für reine Präsentationen oder reine Gespräche.
CAD Arbeitsplätze verfügen in der Regel über 2 Bildschirme oder einen einzelnen, dafür sehr grossen. Anders ist produktives Arbeiten nicht möglich. Bin ich bei Kunden vor Ort, schaue ich sehr oft auf eine Mauer aus Monitoren hinter der hin und wieder Menschen hervor lugen, um zu sehen, was ich da vorne an der „Tafel“ zeige.
Im online Unterricht kann die eigene Anwendung auf einem Bildschirm und das online Meeting, in dem ich die meiste Zeit meinen Bildschirm frei gebe, auf dem anderen Bildschirm platziert werden. Dh die „Tafel“ ist genau vor den Augen und nicht weit entfernt. Auf diese Weise kann direkt Schritt für Schritt mitgearbeitet werden.
Durch die Kamera sehe ich dabei jeden und jede. Ich sehe Reaktionen, ob etwas verstanden wurde, ob mitgearbeitet wird, wann jemand fertig ist. So kann ich meinen Unterricht in Geschwindigkeit und Inhalt flexibel anpassen und zielgenau unterstützen, wo es benötigt wird.
In einem Schulungsraum bin ich hier mehr darauf angewiesen, dass Teilnehmer sich von selbst melden und Unterstützung anfordern. Ich muss häufiger nachfragen, ob alle fertig sind usw. Online sind wir also als Gruppe sehr viel effizienter und persönlicher.
Fokussierung
Die Fokussiierung im online Unterricht auf den Bildschirm und den Unterricht ist sehr viel stärker. Vor Ort wechselt die Fokussierung zwischen eigenem Bildschirm und weiter entfernten Frontalangebot. Die konstante Fokussierung auf den eigenen Bildschirm ist auf der einen Seite ein Vorteil, auf der anderen Seite muss einem als unterrichtende Person aber bewusst sein, dass dies auch sehr viel anstrengender ist. Mir wird oft zurück gemeldet, dass es intensiv, aber auch dadurch sehr effektiv sei.
Wir gleichen das mit kurzen Pausen aus, die dankbar angenommen werden.
„Klassenzimmer“
Meine mobile Workstation wird in der Regel an einen Beamer mit maximal Full HD Auflösung oder einen grossen Monitor angeschlossen. Die Sicht darauf ist nicht für alle gleich gut. Manchmal scheint die Sonne und der Raum lässt sich nicht optimal verdunkeln, manchmal ist die Entfernung oder der Winkel nicht optimal für alle. „Wo haben Sie da gerade geklickt?“ ist eine sehr häufige Frage.
Im online Seminar gebe ich meinen Bildschirm in 4k Qualität frei. An CAD Arbeitsplätzen mit hochwertigen Monitoren entsteht also ein hervorragendes Bild. FullHD ist schon lange keine produktiv übliche Auflösung mehr für die Art der Anwendungen, die ich unterrichte. Aber wer hat schon 4k Beamer in einem Konferenzraum? Häufig gibt es nicht einmal Beamer mehr, sondern 40-50″ TVs. dh ein Bildschirm, der für Bewegtbilder, aber nicht für Text und Grafik und erst recht nicht für CAD Anwendung optimiert ist. Die Folge ist, dass die Werkzeuggruppen aus Platzgründen nicht voll ausgefaltet werden und meine Anwendungsoberfläche anders aussieht als die der Teilnehmer. Von Kreisen, die eher Eiern gleichen und Linien in Treppenform ganz zu schweigen.
Konferenzräume sind nun mal keine CAD Labore und ein CAD Model keine PowerPoint Präsentation oder Diashow.
Auch die Verkabelung behindert manchmal die Mobilität im Raum. Steckdosen sind zu weit entfernt, Kabel laufen kreuz und quer usw. Dateien können wir vor Ort meist nur umständlich via USB Stick austauschen. Wenn Arbeitsrechner nicht am üblichen Ort stehen, haben manche keinen Zugriff auf das interne Netzwerk, Mails etc. oder ich keinen Empfang für mobile Daten. Das Firmennetzwerk vor Ort kann und möchte ich in der Regel nicht nutzen.
Passivität
Online Unterricht verleitet zur Dauerbeschallung und Betrichterung auf der einen und Konsumverhalten ala TV Unterhaltung auf der anderen Seite. Ich unterbinde dies durch eine konstant abwechselnde Gestaltung.
Wichtig ist auch, lernende Menschen hin und wieder einfach mal in Ruhe selbst machen zu lassen.Dazu motiviere ich stets. Zb zeige ich eine Funktion und fordere danach auf, diese zu üben, sowie eine weitere, ähnliche Funktion gleich eigenständig mit zu erkunden. Die Teilnehmer gewinnen so Vertrauen, sich auch selbst Dinge erarbeiten zu können und verstehen die dahinter liegende Programm Logik nach und nach.
Typischer Ablauf Einer Übung
- Prinzip erklären
- Fertiges Ergebnis (Ziel) zeigen
- Einzelne Schritte zeigen oder selbst erkunden lassen
- Nachmachen, Üben lassen
- Sich das Lernergebnis reihum oder stichprobenhaft zeigen lassen
- Fragen beantworten oder Methoden diskutieren
Die Übungen werden im Verlauf immer umfangreicher. dh zu Beginn sind es sehr kurze isolierte Funktionen und später müssen immer mehr Funktionen in Kombination angewendet werden, um die Aufgabe zu lösen. Dabei gebe ich nach und nach immer weniger Wege starr vor und eigene Entscheidungen müssen getroffen werden. Wie so oft im Leben, erfährt man, ob eine Entscheidung gut war, erst im Nachheinein. Und so ist es auch in der Anwendung. Viele Wege führen nach Rom, aber welcher war nun der Beste? Am Ende jeder grösseren Übung können wir unsere Wege vergleichen und lernen die alternativen Wege der anderen kennen.
Durch das Teilen der eigenen Ergebnisse, können wir im online Unterricht also nicht nur repetitiv Lernen, sondern Erfahrung austauschen und somit schneller vollständig handlungsfähig werden.
Online Unterricht ist für mich keine Notlösung, sondern eine echte Lösung, lebenslanges Lernen effizient und spannend zu gestalten.